Nachlese zum 7. Österreichischen Interprofessionellen Palliativkongress

von 28.-30. März 2019 in Innsbruck


Der 7. Österreichische Interprofessionelle Palliativkongress, der von 28. bis 30. März 2019 in Innsbruck stattfand, stand unter dem Motto PALLIATIVE CARE - WEGE IN DIE ZUKUNFT. Über 1300 Menschen der interprofessionellen Palliativversorgung nahmen teil. Der Ausspruch des Augsburger Soziologie-Professors Dr. Werner Schneider „Wie wollen Sie gestorben werden?“, der im Rahmen des Kongresses erwähnt wurde, impliziert auf überspitzte Weise, dass das Lebensende eben nicht ein einzelner für alle gültiger Weg ist, sondern viele Wegemöglichkeiten beinhaltet. 

Wie es auch Rainer Maria Rilke formuliert hat: „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge zieh’n. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.“ 

Inhalte des ersten Kongresstages waren Leitlinien für Palliative Care, Orientierung an Betroffenen, die Stärkung von An- und Zugehörigen sowie als zukunftsweisendes Thema die Unterstützung von Menschen mit chronischen Erkrankungen. 

Allen Leitlinien voran stand die S3-Leitlinie Palliativmedizin. Diese Leitlinie wurde für PatientInnen mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung als wissenschaftlich fundierte, praxisorientierte Handlungsempfehlung unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin entwickelt. Teil 1 wurde im Frühjahr 2015 veröffentlicht, Teil 2 wird 2019 in den kommenden Monaten fertig gestellt. Die S3-Leitlinie Palliativmedizin gibt wissenschaftsbasierte Empfehlungen zu Symptomen und Versorgungsfragen im Bereich Palliative Care und beschreibt die derzeit gegebene Evidenz. 

Momentan ist eine Konsultationsfassung frei im Internet verfügbar. Im Zuge des Kongresses wurden Teile der S3-Leitlinie von Frau Univ. Professorin Dr. Claudia Bausewein, PhD, MSc aus München, Herrn DGKP und diplomierten Pflegepädagogen Axel Doll aus Köln und Frau Dr. Pia Heussner aus München sehr anschaulich und praxisnahe präsentiert. 

Den Eröffnungsvortrag am 28. März 2019 hielt Herr Univ. Professor Dr. Giovanni Maio, M.A. phil. aus Freiburg und plädierte „Für eine Ethik der Sorge“. Sehr differenziert und philosophisch trug er nahezu in der Melodie eines Versmaßes sechs zu berücksichtigende Punkte vor, die unter anderem beinhalteten, dass die Sorge und das Füreinander-Sorgen nicht von Institutionalisierung und Ökonomisierung geleitet werden solle. Sondern vom einzelnen Menschen, der einem anderen Menschen gegenübersteht, der Hilfe benötigt. 

An einer im Anschluss stattfindenden und von Sonja Prieth, MA moderierten Podiumsdiskussion nahmen Dr. phil. Karl Bitschnau, MAS (Fachbereichsleiter Hospiz Vorarlberg), Sr. MMag. Barbara Flad (Seelsorgerin in Zams), Priv. Doz. Dr. Sabine Pleschberger, MPH (Pflegewissenschafterin in Wien) und Oberarzt Dr. Dietmar Weixler, MSc (Arzt im Konsiliarteam und mobilen Palliativteam in Horn) teil. Die Diskussion behandelte sowohl auf ernsthafte als auch auf humorvolle Weise das Aufeinandertreffen von Individualität, Professionalität, erforderlichem Wissen, PatientInnenschicksalen sowie Ressourcenfragen.

Darauf folgte das künstlerisch hochwertige Lyrik-Sound-Projekt diesseits.jenseits von der Tiroler Literatin Barbara Hundegger unter (beeindruckende Selbstkompositionen beinhaltender) Musikbegleitung von Klex Wolf und Hannes Sprenger, im Rahmen dessen Dante Alighieris Purgatorio der Göttlichen Komödie neu interpretiert wurde. 

Das anschließende abendliche „Get Together“ stand unter anderem unter dem Motto "20 Jahre Österreichische Palliativgesellschaft - 1999-2019". Am 28. März 2019 wurde daher ein Fest in der Dogana ausgerichtet, die 1973 an der Stelle der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Dogana, einem Ballspielhaus und Theater aus der Renaissancezeit, erbaut wurde. Während der Abendveranstaltung wurden als Reminiszenz von Gründungsmitgliedern und früheren OPG-Mitgliedern gesammelte Bilder an die Wand projiziert. Auch hier bildete sich anhand der zahlreichen Anwesenden, die auf diesen Bildern ein wenig in ihre Vergangenheit blicken durften, ab, dass - wer einmal Feuer fing für Palliative Care - diesem Feld meist lange die Treue hält. Das Heft „20 Jahre OPG“ mit Beiträgen von Gründungsmitgliedern, des Präsidenten, ehemaliger Präsidenten, Vorstandsmitgliedern und ehemaligen Vorstandsmitgliedern der Österreichischen Palliativgesellschaft lag der Kongresstasche bei. Es wurde auch bereits verstorbenen Mitgliedern der österreichischen Palliativgesellschaft gedacht.

Ebenfalls am Eröffnungstag fand das von Hospiz Österreich gestaltete Symposium für Ehrenamtliche statt. Es stand unter dem Motto „Wege in die Zukunft - Was trägt uns?“ und stand unter der Leitung von Frau Mag. Leena Pelttari, MSc. Das Symposium wurde im Beisein des Präsidenten der Österreichischen Palliativgesellschaft, Herrn Univ. Professor Dr. Rudolf Likar, MSc und Frau Waltraud Klasnic, der Präsidentin des Dachverbandes Hospiz Österreich, abgehalten. Betont wurde auch die Notwendigkeit, über den Zaun zu schauen. 

Sehr gut besucht waren die Pre-Conference Workshops am 27. März 2019 zu brennenden Themengebieten wie „Palliative Sedierungstherapie - Klinische und ethische Herausforderungen“; „Heilsame Berührung - Therapeutic Touch für schwerkranke Menschen“; „Advance Care Planning - Der Vorsorgedialog als österreichischer Weg für Advance Care Planning“; „Lust bis zuletzt? Sexualität bei schwerer Krankheit“ und „Verlust und Abschied. Kinder als Angehörige begleiten“.

Der zweite Kongresstag widmete sich den S3-Leitlinien, der Leiderfahrung und existenziellen Verzweiflung, den Zukunftsfragen der Aus- und Weiterbildung in Palliative Care in Österreich und der Herausforderung von Palliative Care im Pflegeheim. Weitere Themen waren Advance Care Planning in den deutschsprachigen Ländern, die Praxis der Sorge in Alltag, Community und Politik, die Zusammenarbeit im Sinne der Betroffenen in Form einer integrativen palliativen Versorgung sowie Ethik und Praxis in der Versorgung neurologischer PatientInnen. 

Fünf von einer Jury als die besten Abstracts ausgewählten Studien wurden in der Session „Vor den Vorhang“ als Vorträge präsentiert. Die prämierten Arbeiten trugen folgende Titel: „Einstellung und Wissen zur Thematik ‚Reanimation’ von PatientInnen mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen auf der Palliativstation“ - Preisträger: Dr. Matthias Unseld; „Professionelles Selbstverständnis von Pflegepersonen in der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung - Kompatibilität mit Advanced-Nursing-Practice-Konzept“ - Preisträgerin: Mag. Susanna Maria Fischer; „PICC-Katheter bei PalliativpatientInnen“ - Preisträgerin: Oberärztin Dr. Andrea Passini, MSc; „Betreuung von schwerkranken und sterbenden Menschen durch MitarbeiterInnen der Heimhilfe und der Hauskrankenpflege (HPC Mobil) - Ergebnisse eines 3-jährigen Pilotprojektes, Juni 2015 bis Juni 2018“ - Preisträgerin: Mag. Dr. Sigrid Beyer; „PalliDoc-NÖ - ein partizipatives sektoren-, setting- und strukturübergreifendes Projekt zur kollektiven Qualitäts(weiter)entwicklung in spezialisierten mobilen und konsiliarisch tätigen Palliativteams in Niederösterreich“ - Preisträgerin: Mag. Dr. Helga Zellhofer. Die Vorträge waren äußerst erfrischend und lösten erfreulicherweise eine rege Diskussion aus. 

Während des Kongresses tagten die Arbeitsgruppen AG "Forschung in Palliative Care", AG „Ethik in Palliative Care“, AG „Palliativpflege“, „AG Physiotherapie“, „AG Spiritualität“ sowie das DACH Internationale Kooperationstreffen. Weiters fand die Generalversammlung der Österreichischen Palliativgesellschaft statt. Auch anhand dessen bildet sich gelebte Interdisziplinarität ab. 

Der zweite Kongresstag schloss mit dem öffentlichen Vortrag eines ehemaligen Präsidenten der Österreichischen Palliativgesellschaft, Dr. Harald Reschitzegger, MSc aus Wien. Unter dem Titel „Lieben bis zuletzt - Fundstücke eines Lesers und Palliativmediziners in Literatur und Leben“ präsentierte er mitunter nicht alltägliche und außergewöhnliche literarische Auszüge und setzte diese in Beziehung zu Palliative Care. 

Am Abschlusstag des Kongresses befassten sich die Vorträge wiederum mit den S3-Leitlinien sowie mit Spiritual Care. Anschließend wurden zwei Poster-Preise überreicht, die an Herrn Dr. Lukas Gamillscheg aus Feldkirch zu dem Thema „Bedarf an Palliativmedizin in der Kardiologie“ und an Herrn MMag. Dr. Günter Polt, MSc aus Graz zu dem Thema „Eine retrospektive Studie über den Einfluss einer Notfallinformation auf den Sterbeort von PalliativpatientInnen“ gingen. 16 Forschungsarbeiten und 24 Praxisprojekte waren als Poster ausgestellt worden. 

Mit einem Chor der Vielfalt schloss der Kongress. Die Sängerinnen und Sänger des Chors setzen sich aus Menschen verschiedenster Herkunft zusammen. Durch das gemeinsame Singen entsteht ein Gemeinschaftsgefühl von Menschen fernab jeglicher kultureller Identitäten. Das ist es auch, wofür Palliative Care stehen soll, für Vielfalt, Individualität und nicht selten auch für ein Improvisieren, da das Leben in all seinen Facetten in diesem Arbeitsfeld in unvorhersehbaren Aspekten zu Tage treten kann. Der Kongress schloss jedoch auch mit dem Beginn der Pensionierung von Frau Dr. Elisabeth „Lisl“ Medicus, MAS, die langjährig als ärztliche Direktorin der Tiroler Hospizgemeinschaft tätig war. Sie hielt eine bewegende Rede unter dem Motto „Den Rucksack packen: Wege gehen für Palliative Care“. Da es nicht ausreichend wäre, Auszüge dieser Rede zu erwähnen, ist geplant, die Rede sowohl auf der Homepage der Österreichischen Palliativgesellschaft www.palliativ.at als auch in der Deutschen Zeitschrift für Palliativmedizin zu veröffentlichen. Frau Dr. Elisabeth Medicus, MAS, bekam von ihrer Nachfolgerin und somit neuen Leiterin des Tiroler Hospizhauses Frau Dr. Andrea Knoflach-Gabis und der Pflegedirektorin des Tiroler Hospizhauses DGKP Christine Haas-Schranzhofer, MMSc einen Rucksack zu ihrer Pensionierung überreicht, dessen Inhalt als Symbol für das stehen sollte, was sie stets an ihr Umfeld weitergab: die Berücksichtigung der körperlichen, psychosozialen sowie spirituellen Dimension. Ihre beeindruckende Bescheidenheit trotz Standing Ovations unterstreicht ihre Größe!

Die abwechslungsreichen und hervorragend präsentierten Themen, die offenherzige und einander wertschätzende Kongressatmosphäre und die sonnige, warme Innsbrucker Bergkulisse mit schneeleuchtenden Bergspitzen haben bei den Teilnehmenden ein sichtbar gutes Gefühl hinterlassen. Dem Kongresspräsidium Frau Dr. Elisabeth Medicus, MAS, Frau Univ. Ass. Mag. Dr. Christiane Kreyer und Herr Mag. Werner Mühlbock, MBA ist von ganzem Herzen zu einem sensationellen und gelungenen Kongress zu gratulieren, der Spuren hinterlassen hat und darin bestätigt, sich im Bereich der Palliative Care zu Hause fühlen zu können. 

Das Bild der Ameise, die ein Streichholzstück schleppt, das viel größer ist als sie selbst und das diesen Beitrag begleitet, soll darstellen, dass in der Palliative Care Tätige in der Lage sind, Schweres zu tragen. Wie die Ameise schaffen wir es gegebenenfalls auch alleine, doch gemeinsam sind wir (noch) stärker! 

Passend zu dem schönen Innsbrucker Panorama soll es erlaubt sein, mit Rilke zu schließen: „Ich kreise um Gott, um den uralten Turm, und ich kreise jahrtausendelang; und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm, oder ein großer Gesang.“ 

Ass. Prof.in PDin Dr.in med. univ. et scient. med. Eva Katharina Masel, MSc