Nachlese


Nachlese zum 6. Interprofessioneller Fachtag Palliative Care am 08.11.2019 unter dem Motto "Sexualität in Palliative Care - ein Mantel des Schweigens?"

Am 08.11.2019 fand unter dem Motto "Sexualität in Palliative Care  - ein Mantel des Schweigens?" ein Fachtag im Kardinal König-Haus statt. Der Österreichischen Palliativgesellschaft ist es ein besonderes Anliegen, sich auch „nicht geläufigen“ Themen zu widmen, was erfreulicherweise großen Anklang fand. Etwa einhundert Besucherinnen und Besucher fanden sich im Kardinal König-Haus ein.

Laut Weltgesundheitsorganisation ist Sexualität ein elementares menschliches Grundbedürfnis. Sexuelle Gesundheit gilt als grundlegendes Menschenrecht. Sexualität umfasst jedoch viele Bereiche, ist mehrdimensional und nicht auf sexuelle Handlungen beschränkt. Chronische Erkrankungen haben einen Einfluss auf Sexualität, was nicht - wie fälschlicherweise oft angenommen - meint, dass diese bedeutungslos wird. Vier hochkarätige Vortragende gaben dem Publikum im Rahmen des Fachtages die Möglichkeit, sich anhand vielseitiger und auch unterhaltsam aufbereiteter Vorträge differenziert mit der Thematik Sexualität und Palliative Care auseinanderzusetzen. Ein respektvoller Umgang mit dem Thema Sexualität erscheint gerade im Palliative Care Bereich wesentlich, da das Thema verletzlich macht.

Univ. Prof.in Dr.in Maria Wasner aus München sprach in ihrem Vortrag "Let`s talk about sex - Bedeutung von Sexualität am Lebensende und Implikationen für die Soziale Arbeit" an, dass Sexualität auch am Lebensende einen wichtigen Aspekt der Lebensqualität darstellt. Der größte Einflussfaktor in der Auseinandersetzung sei die individuelle Biographie. Was versteht man selbst unter Sexualität? Wie ist die eigene Einstellung? Fühlt man sich wohl mit dem Thema, hat es doch in der medizinischen Ausbildung kaum einen Platz. Wie aufgeschlossen ist man? Was würde man sich für sich selbst im Falle von Alter und Krankheit wünschen? Prof.in Wasner betonte, dass Sexualität als Thema in ein Gespräch eingebunden sein sollte. Sie wies auch auf ihr neu erschienenes Buch "Kultursensibilität am Lebensende" hin. Die Bedeutung  von Sexualität sei im Laufe eines Lebens zumeist unverändert (abhängig von der individuellen Biographie). Im Rahmen von schweren Erkrankungen kann es zu  Veränderungen im Ausleben der Sexualität, wie etwa zu einer Abnahme von Geschlechtsverkehr kommen, zugleich sei aber eine Zunahme der Bedeutung von körperlicher Nähe und Beziehungsaspekten möglich. Umso wichtiger seien Informationen zu möglichen Auswirkungen auf Sexualität und ein proaktives Ansprechen durch professionelle Teams.

Das Beachten einer ungestörte Intim- und Privatsphäre, auch im stationären Bereich, entsprechende Schulungen und die Beachtung eigener Grenzen sowie die Weitervermittlung an SpezialistInnen, sofern erforderlich, sind hilfreiche Fertigkeiten für Palliative Care Teams. 

Univ. Ass.in Dr.in Lucia Ucsnik, MAS, FECMS und Chirurgin in Ausbildung fesselte das Publikum mit ihrem praxisnahen und humorvollen Vortrag "Sexuelle Gesundheit und Intimität am Ende des (Er)Lebens". Sie zitierte die Literaturarbeit "Why humans have sex" von Meston CM et al., die im Jahr 2019 im Journal of Sex and Marital Therapy erschien und 237 Gründe beschreibt, Sex zu haben. Frustrationen seien laut Dr.in Ucsnik normal. Und Sexualfunktionen seien unter dem Motto "Use it or lose it" in einem gewissen Ausmaß trainierbar. Wesentlich für mehr Know-how sei die Auseinandersetzung mit dem Thema und das Bilden von Netzwerken! Frau Dr.in Ucsnik wies weiters darauf hin, dass es unethisch sei, Sexualität aus einer Betreuung auszuklammern. Zahlreiche Studien weisen nach, dass PatientInnen das Bedürfnis haben, mit medizinischen Teams über Sexualität zu sprechen.

Frau DGKPin, KSB Maria Signer aus Linz betonte in ihrem lebendigen Vortrag "Wenn Würde und Autonomie gefährdet sind, immer wieder kleine Inseln der Intimität schaffen", dass wir Sexualität zumeist in den Bereich “intime Beziehung” einordnen würden, wir aber immer sexuelle Wesen seien. Auf diese Weise sei Sexualität in allen Lebensbereichen, in jedem Alter und in jeder Lebenssituation wirksam. Sie wies weiters darauf hin, dass Sexualität Lebensenergie ist. Angesichts von schweren Erkrankungen, die Würde und Autonomie gefährden, sei eine besondere Sensibilität von Bedeutung. Frau DGKPin Signer betonte, dass das diplomierte Pflegepersonal  jeden Tag „Grenzüberschreitungen“ vornehmen würde. Sie wies auf ein Zitat von Sigmund Freund hin: “Das Ich ist vor allem ein Körperliches.“ Kranken Menschen könne man empfehlen, sich selbst einzucremen und wahrzunehmen: Was tut mir gut? Was tut mir weh? Der Körper sei eine Landkarte der Erregbarkeit. Mit einem Augenzwinkern wies Frau DGKPin Signer das Publikum darauf hin: „Schmieren und Salben hilft allenthalben!“ (gegebenenfalls auch bei Wechselbeschwerden). Auch betonte sie, dass die eigenen Werte einen großen Einfluss auf den Umgang mit der Thematik Sexualität hätten. Im Rahmen von Paarbeziehungen tritt bei schweren Erkrankungen meist eine Rollenverschiebung ein - gleichwertige Liebespartner werden zu einem „helfenden“ und einem „pflegebedürftigen“ Teil.

Drei Störfaktoren beeinflussen Sexualität: 1. Stress, 2. Angst, 3. Depression. Umso wichtiger sei es, die Bedürfnisse der Betroffenen immer wieder konkret nach Berührung und Zärtlichkeit und danach, was angenehm und was weniger angenehm sei, zu fragen. Frau DGKPin Signer gab uns ein schönes Zitat der renommierten Psychotherapeutin Virginia Satir mit auf den Weg:

Vier herzliche Berührungen pro Tag sind das Existenzminimum.
Acht braucht der Mensch zu seinem Wohlbefinden.
Zwölf zur Entfaltung seiner Persönlichkeit.“

Im vierten Vortrag "Sexualität „gesunder“ und an Krebs erkrankter Menschen" sprach Herr Univ. Prof. Dr. Christian Dadak über die Gefahr der Sprachlosigkeit in Paarbeziehungen. Sprachlosigkeit würde die Beziehung töten, während Sexualität Beziehungen zusammenhält. Eine gemeinsame sexuelle Sprache sei wichtig! Prof. Dadak wies darauf hin, dass Sexualfunktionsstörungen das Risiko für eine Depression um den Faktor 2-3 erhöhen würden. Eine Möglichkeit der Sexualtherapie sei die SENSATE FOCUS Technik in Form von abgestuften körperlichen Begegnungen, beginnend mit nicht-sexuellen bis hin zu sexuellen Berührungen. Die Inzidenz an sexuellen Appetenzstörungen würde bei 17-35 % liegen, aber es würde nur dann eine Störung vorliegen, wenn ein persönlicher Leidensdruck entsteht. Oft seien Kommunikationsprobleme zwischen Partner vorhanden, es würden keine Gespräche über Sexualität und Sexualprobleme geführt werden. Als professionelle Annäherung könnte folgender Einstieg erfolgreich sein: „Eine Patientin/ein Patient mit einem ähnlichen Krankheitsbild hat mich zum Thema Sexualität und Partnerschaft angesprochen. Wie sind Ihre Erfahrungen?“ Pflegepersonen aber auch ÄrztInnen sollten das Thema Sexualität aktiv ansprechen.

Die Stimmung im Kardinal König-Haus wurde von Stunde zu Stunde lockerer und alle gingen mit einem verschmitzten Lächeln nach Hause. Schließlich war auch dem Publikum von Frau Univ. Ass.in Dr.in Ucsnik aufgetragen worden: „Not same procedure as every day“...

Ass.Prof.in PDin Dr.in med. univ. et scient. med. Eva Katharina Masel, MSc

DSAin Bettina Pußwald, MSM