3. Interdisziplinärer Fachtag Palliative Care "Leiden und lindern"

Zum Thema „Leiden und lindern“ fand am 30. Oktober 2015 der 3. Interdisziplinäre Fachtag Palliative Care statt, der auf reges Publikumsinteresse gestoßen ist und erstmals im Casino Baumgarten abgehalten wurde. Thema war unter anderem die aktuelle mediale Berichterstattung über die Gabe von Morphin am Lebensende, die in einen ursächlichen Zusammenhang mit dem Tod einer Patientin in Salzburg gestellt worden ist.

„Die therapeutische – oder palliative – Sedierung wird im palliativmedizinischen Kontext als der überwachte Einsatz von Medikamenten mit dem Ziel einer verminderten oder aufgehobenen Bewusstseinslage verstanden, um die Symptomlast in anderweitig therapierefraktären Situationen in einer für Patientinnen und Patienten, Angehörige und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ethisch akzeptablen Weise zu reduzieren“, so OA Dr. Dietmar Weixler, MSc*, wissenschaftlicher Leiter des 3. Interdisziplinären Fachtages Palliative Care.

„Ein Problem ist, dass die aktuelle Rechtslage zu Entscheidungen am Lebensende nur einer Minderzahl der Österreichischen Ärztinnen und Ärzte bekannt sein dürfte, wie der Fall in Salzburg zeigt. In Österreich eine sachgerechte Schmerztherapie zu erhalten, ist als Zufall zu bezeichnen, da nur knapp über 1 % der österreichischen Ärztinnen und Ärzten eine Ausbildung in spezieller Schmerztherapie absolviert haben“, erläuterte OA Dr. Weixler. „Vor allem für Krebspatientinnen und -patienten ist die Angst vor unerträglichen Schmerzen einer der am häufigsten genannten Umstände, die als Grund herangezogen werden, um einen assistierten Suizid zu fordern“, erklärte OA Dr. Weixler weiter.

Generell sind Morphine jedoch ein unverzichtbarer Bestandteil in der Behandlung von Schmerzen bei schweren Erkrankungen und am Lebensende. Opioide sind sehr wirksame, sehr gut verträgliche und in der Anwendung sehr sichere Medikamente. Bei sachgerechter Anwendung verkürzen Opioide keinesfalls das Leben, sondern bringen Schmerzen zum Abklingen und können damit sogar lebensverlängernd wirken. Morphin tötet die Schmerzen, aber nicht die Menschen.

OA Dr. Weixler prangerte jedoch auch die Schwierigkeiten einer adäquaten Schmerztherapie an: „Ein Drittel der österreichischen Schmerzambulanzen wurden in den letzten Jahren geschlossen und der Hauptverband der Sozialversicherungsträger hat in den letzten zehn Jahren kein einziges neues Schmerzmedikament in die Erstattung aufgenommen.“

„Viele in der Schmerztherapie üblichen Mittel sind in Österreich nur mit größten Schwierigkeiten erreichbar, zum Beispiel intravenöses Hydromorphon, intravenöses Oxycodon, perorales Oxycodon und Naloxon sowie Tapentadol. Andere sind zur Symptomkontrolle aus dem Handel genommen worden, zum Beispiel parenterales Methadon, parenterales Buprenorphin oder das in Österreich nie verfügbar gewesene L-Methadon,“ so OA Dr. Weixler weiter.

Wie jedoch ist das Leiden genau zu definieren, um medizinisch adäquat handeln zu können? Mit dieser Frage beschäftigte sich Dr.in Claudia Bozzaro*. „Eine Reflektion und Klärung dessen, was mit dem Begriff „Leiden“ oder „unerträgliches Leiden“ im medizinischem Kontext gemeint ist, z.B. im Rahmen der Indikationsstellung für eine palliative Sedierung, bleibt weitgehend aus“, erläuterte die Expertin.

„Leiden zu lindern ist eine der Hauptaufgaben der Medizin. Leiden ist jedoch auch Teil des Lebens. Die Medizin ist auf die Differenzierung unterschiedlicher Leiderfahrungen angewiesen. Schmerzen sind nicht dasselbe wie Einsamkeit, schwere Übelkeit nicht dasselbe wie die Angst, anderen zur Last zu fallen, auch wenn diese Situationen unerträglich leidvoll sein können. Die Medizin kann nicht jede Form von Leiden lindern. Eine Medizin, die die Grenzen des eigenen Leidenslinderungsauftrages nicht kennt, kann gefährlich werden, denn letztlich ist die absolute Leidensfreiheit nur durch die Abschaffung der leidenden Person selbst erreichbar“, gab Dr.in Bozzaro pointiert zu denken.

Dr.in Maria Klete?ka-Pulker*, wissenschaftliche Leiterin des 3. Interdisziplinären Fachtages Palliative Care, beleuchtete die juristischen Sachverhalte: „Diese sind komplex und der rechtliche Rahmen ist oftmals für die Betroffenen nicht klar. In der juristischen Terminologie wird zwischen der aktiven, der passiven, der direkten und der indirekten Sterbehilfe unterschieden – mit ganz unterschiedlichen Rechtsfolgen. Die Ärztinnen und Ärzte haben zunehmend Angst vor juristischen Konsequenzen. Diese ist, wie der Fall in Salzburg zeigt, bei dem sogar wegen Mord ermittelt wird, nicht unberechtigt.“

Wie weit kann dem Willen des Betroffenen Rechnung getragen werden, ohne sich dabei strafbar zu machen? So ist unter bestimmten Voraussetzungen das Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen zulässig bzw. sogar rechtlich geboten. Egal ob diese nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden. Entscheidend für Tun und Unterlassen ist das Selbstbestimmungsrecht der PatientInnen. Das Sterben erscheint immer weniger als natürliches Ereignis, sondern gestaltbar durch die Medizin und deren Technik. Wo aber liegen die Grenzen?

Was kann getan werden, um die Verunsicherung der ÄrztInnen zu verhindern? Wie kann in der Praxis mehr Rechtssicherheit geschaffen werden, damit der Autonomie der PatientInnen möglichst entsprochen werden kann, ohne Gefahr zu laufen, unter dem Verdacht zu stehen, aktive Sterbehilfe geleistet zu haben?

Grundsätzlich dürfen laut Dr.in Klete?ka-Pulker medizinische Behandlungen nur durchgeführt werden, wenn einerseits die Patientin bzw. der Patient einwilligt und andererseits eine medizinische Indikation vorliegt. Eine medizinische Indikation ist aus rechtlicher Sicht nicht mehr gegeben, wenn die Behandlung mangels Wirksamkeit nicht mehr erfolgversprechend bzw. aussichtslos ist. In diesen Fällen entfällt eine mögliche Behandlungspflicht der Ärztin bzw. des Arztes. „Dies trifft oft bei sterbenden Patientinnen und Patienten zu, bei denen durch etwaige medizinische Maßnahmen, wie medikamentöse Behandlung, chirurgische Eingriffe, Setzen von PEG Sonden, die Verwendung von Geräten zu Organersatz oder –unterstützung, das Leben, aber auch das Sterben verlängert werden soll. Dies gilt auch für andere Patientinnen und Patienten, bei denen die Belastung einer möglichen Behandlung den zu erwartenden Vorteil überwiegt. In solchen Situationen trifft die Ärztin oder den Arzt keine Verpflichtung, eine nicht indizierte Maßnahme zu setzen“, führte Klete?ka-Pulker aus.

Um mehr Licht ins Ungewisse zu bringen, arbeitet die Österreichische Palliativgesellschaft (OPG) an der Entwicklung einer Nationalen Leitlinie für die Palliative Sedierungstherapie.

„Es geht insgesamt um eine Palliativkultur in Österreich, die dringend weiterentwickelt werden muss!“ sagte Dr. Harald Retschitzegger, MSc*, OPG-Präsident und wissenschaftlicher Leiter des 3. Interdisziplinären Fachtages Palliative Care. „Dazu gehört auch die rasche Umsetzung der Erkenntnisse der Parlamentarischen Enquete-Kommission „Würde am Ende des Lebens“. Hierzu ist derzeit politisch leider keinerlei Aktivität zu bemerken – was erstaunlich und enttäuschend ist!“ so Dr. Retschitzegger weiter. „Die OPG – als Fachgesellschaft aller in Palliativbetreuung beteiligten Professionen – wird aber weiterhin auf die bestehenden Mängel in der Versorgung und auch Finanzierung hinweisen und aktiv sein!“



* Dr. Harald Retschitzegger, MSc
Palliativmediziner und Geriater, Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft
* Dr.in Claudia Bozzaro
Philosophin und Medizinethikerin, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (D)
* Dr.in Maria Klete?ka-Pulker
Juristin, Geschäftsführerin Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Medizinische Universität Wien
* OA Dr. Dietmar Weixler, MSc
Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin, Leiter der AG „Ethik in Palliative Care“

Pressekonferenz im Café Landtmann am 30.10.2015
(Foto: Be Perfect Eagle GmbH)