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Kinderpalliativsozialarbeit
Kinder sind keine „kleinen Erwachsenen“
Palliativsozialarbeit im Kinderbereich
Nach den großen Errungenschaften in der Erwachsenenpalliativarbeit hat sich gezeigt, dass es auch für den Kinderbereich eigene spezialisierte Palliativeinrichtungen braucht. Der bereits im Jahr 1999 gegründete und mittlerweile als Kinderhospiz anerkannte Sterntalerhof leistete in dieser Entwicklung wichtige Pionierarbeit.
Im Juni 2010 beschloss der Dachverband Hospiz Österreich den Aufbau eines eigenen Bereiches “Kinderhospizarbeit und pädiatrische Palliative Care”. Mittlerweile entstehen immer mehr Versorgungsstrukturen in unterschiedlichsten Ausformungen, die in den seit 2011 jährlich stattfindenden Vernetzungstreffen zusammengeführt werden. Für die Berufsgruppe der Sozialarbeit wird es unumgänglich sein, in diesem sich sehr rasch entwickelnden Feld ihre Positionierung zu finden.
Boris Zernikow (Palliativversorgung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2008) schreibt: „Neben der Gemeinsamkeit, dass sterbende Kinder und Erwachsene einer umfassenden Versorgung durch ein multidisziplinäres Team bedürfen, gibt es zahlreiche Unterschiede in der Palliativversorgung von Kindern und Erwachsenen, und zwar in medizinischer, psychosozialer und spiritueller Hinsicht.“ (Seite 12)
Die 2006 auf Europaebene formulierten IMPaCCT-Standards beschreiben schon in der Festlegung der vier Krankheitsgruppen einen wesentlichen Unterschied zum Erwachsenenbereich, wo wir es nach wie vor hauptsächlich mit onkologischen Erkrankungen zu tun haben, siehe auch Standards für Pädiatric PC.
Gruppe 1: Lebensbedrohliche Erkrankungen, für die eine kurative Therapie zur Verfügung ist, die jedoch auch versagen kann. (z.B. fortschreitende Krebserkrankungen, irreversibles Organversagen)
Gruppe 2: Erkrankungen, bei denen ein frühzeitiger Tod unvermeidlich ist. Lange Phasen intensiver Therapien haben eine Lebensverlängerung und eine Teilnahme an normalen Aktivitäten des täglichen Lebens zum Ziel. (z.B. zystische Fibrose, Muskeldystrophie)
Gruppe 3: Progrediente Erkrankungen ohne die Möglichkeit einer kurativen Therapie. Die Therapie erfolgt ausschließlich palliativ. Sie erstreckt sich häufig über viele Jahre (z.B. Mucopolysaccaridosen).
Gruppe 4: Irreversible, jedoch nicht progrediente Erkrankungen, die regelhaft Komplikationen zeigen und wahrscheinlich zum vorzeitigen Tod führen. Diese Erkrankungen stellen komplexe Anforderungen an die medizinische Versorgung (z.B. schwere Mehrfachbehinderungen wie z.B. bei Hirn- oder Rückenmarkserkrankungen)
In Österreich ist laut einer weltweiten Studie die 5-Jahres-Überlebensrate bei an Krebs erkrankten Kindern in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, in einigen Bereichen wie der akuten lymphatischen Leukämie sogar auf über 90%; zur Studie
Kinderpalliativsozialarbeit ist daher im Unterschied zum Erwachsenenbereich nur zu einem kleinen Teil mit onkologischen Patienten befasst und hat es mit sehr unterschiedlichen und zum Teil wenig erforschten Krankheitsbildern zu tun. Im Erwachsenenbereich sind viele dieser Krankheitsbilder nicht oder nicht mehr vorhanden, weil die Kinder spätestens im jungen Erwachsenenalter daran versterben. Viele davon gehören zu den seltenen Erkrankungen, was wiederum eine ganz eigene Problemlage für die betroffenen Familien verursacht.
Das in Österreich im Jahr 2013, im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit in Kooperation mit dem Dachverband Hospiz Österreich erstellte Expertenkonzept beschreibt die Notwendigkeit von Hospiz- und Palliativversorgung im Kinder- und Jugendbereich vom Zeitpunkt der Diagnosestellung an. Diese umfasst die gesamte Familie, sowie alle An- und Zugehörigen; zum Expertenkonzept
Viele Erkrankungen im Kindesalter sind durch einen jahrelangen Verlauf gekennzeichnet und dementsprechend braucht das gesamte familiäre Umfeld meist über einen sehr langen Zeitraum Begleitung und Unterstützung in den verschiedensten Lebensbereichen. Wieder ein deutlicher Unterschied zum Erwachsenenbereich. Hier sprechen wir in der Hospiz- und Palliativversorgung meist von Wochen oder Monaten und nur in seltenen Ausnahmefällen von Jahren.
Wenn wir uns in der Betreuung der betroffenen Familien an diesem Experten-Konzept orientieren, bedeutet dies, dass wir sowohl das betroffene Kind als auch die gesunden Geschwister als gleichwertige “AdressatInnen” unserer Betreuung sehen müssen. Ebenso gleichwertig sind auch die Eltern, oft sogar auch die stark in den Alltag der Familien integrierten und doppelt betroffenen Großeltern in die Betreuung einzubinden.
Sozialarbeiterische Tätigkeiten, die sich am betroffenen Kind orientieren, sind breit gefächert, schon alleine deshalb, weil sich sowohl Neugeborene wie Kinder und Jugendliche, aber auch junge Erwachsene in der Zielgruppe befinden. Es gilt Finanzierungen zu finden für Wohnungsadaptierungen, Einbauten von Treppenliften, rollstuhlgerechten Familienfahrzeugen etc., Pflege und Betreuung zu Hause muss sichergestellt werden; ebenso oft braucht es Unterstützung bei der Suche nach Kindergarten- und Schulplätzen, wenn Kinder einen hohen Pflegebedarf haben und die dauerhafte Anwesenheit einer Pflegeperson brauchen. Im Jugendalter ist die Teilhabe am sozialen Leben ein wichtiger Faktor. Anschaffung und Finanzierung von Sprachcomputern, Installierung von Schul- und persönlicher Assistenz - nur als Beispiel - ermöglichen den Jugendlichen, kleine Schritte in die Selbständigkeit zu tun, auch wenn die Pflegebedürftigkeit bei Fortschreiten der Erkrankung höher wird. Sozialarbeit unterstützt hierbei sowohl beratend, stärkt und fördert die Kompetenzen der Betroffenen und ihrer Familien damit sie sich besser selbst helfen können, wird aber auch aktiv bei Anschaffung und Finanzierung diverser Bedarfe. Gerade in diesem Alter wird die Möglichkeit des Sprechens über die eigene Erkrankung mit Personen außerhalb des Familiensystems wichtig, dabei übernimmt Sozialarbeit eine begleitende oder vermittelnde Funktion.
Sozialarbeit wendet sich im Kinder- und Jugendbereich immer auch gleichwertig den mitbetroffenen Geschwistern im Familiensystem zu, die oft über einen sehr langen Zeitraum quasi ein “Schattendasein” in der Familie führen. Für sie gilt es passende Angebote zu finden, die ihren ganz eigenen Bedürfnissen gerecht werden und ihnen „Auszeiten“ ermöglichen, in denen sie und nicht die Erkrankung der Schwester/des Bruders im Mittelpunkt stehen. Auch hierfür gilt es, Finanzierungen zu finden. Nicht selten brauchen Familien viel Ermutigung und erzieherische Beratung in der Kommunikation mit den gesunden Kindern über die Erkrankung bzw. den bevorstehenden Tod sowie im Trauerprozess. Sozialarbeit kann hierfür als InitiatorIn bzw. als VermittlerIn zu kompetenten Einrichtungen dienen.
Wichtige, oft die wichtigsten AdressatInnen von sozialarbeiterischem Handeln im Familiensystem sind die betroffenen Eltern. Sie brauchen Unterstützung bei der Durchsetzung von finanziellen Ansprüchen, Orientierungshilfen in rechtlichen Fragen ebenso wie oft sehr langfristige Beratungen z.B. bei Fragen des beruflichen Wiedereinstiegs wenn gleichzeitig die Erkrankung des Kindes fortschreitet und der Pflegeaufwand laufend höher wird. Eltern müssen darin bestärkt und beraten werden, dass es Entlastung und Gesunderhaltung nicht nur für die betroffenen Kinder braucht, sondern ganz besonders für sie als diejenigen, die oft über Jahre große Verantwortung und Belastungen zu tragen haben. Sozialarbeit unterstützt bei der Organisation und Finanzierung von ebendiesen Entlastungsangeboten und ermöglicht dadurch oftmals, dass Kapazitäten frei werden, die auch für die Paarbeziehung genutzt werden können. Dadurch wird diese wieder gestärkt, die im oft jahrelangen Pflegealltag aus dem Fokus der Familien gerät.
Nicht zuletzt werden SozialarbeiterInnen im Kinder- und Jugendbereich immer wieder auch sehr viel stärker als im Erwachsenenbereich mit Zugehörigen einer betroffenen Familie konfrontiert, da die Mitbetroffenheit im Kinderbereich einfach merkbar höher ist. Lehrkräfte und KindergartenpädagogInnen nicht nur der betroffenen Kinder sondern auch der gesunden Geschwister, ArbeitskollegInnen oder Nachbarn der Eltern u.ä. wenden sich immer wieder an Einrichtungen wie den Sterntalerhof, um sich Rat und Unterstützung zu holen, wie z.B. die Kommunikation über die Krankheit in einer Klasse gelingen kann oder aber auch wie sie sich helfend einbringen können. Auch für diese Mitbetroffenen kann Sozialarbeit eine wichtige beratende Funktion erfüllen.
Für die Berufsgruppe der Sozialarbeit haben diese nur exemplarisch herausgegriffenen Aufgaben, die sich je nach Versorgungskontext in der Priorität auch stark unterscheiden können sowie die eingangs beschriebenen Unterschiede zum Erwachsenenbereich zur Folge, dass es für die in diesem Feld tätigen KollegInnen nötig sein wird, das Berufsprofil der Palliativsozialarbeit speziell für den Kinderbereich zu präzisieren. Eine wichtige Plattform, um diese Gemeinsamkeiten zu erarbeiten und zu bündeln, bieten die auf Initiative des Sterntalerhofes seit 2014 regelmäßig stattfindenden Austauschtreffen aller im Kinderpalliativbereich österreichweit in unterschiedlichen Kontexten tätigen SozialarbeiterInnen.
Zum Konzept "Sterntalerhof"
Barbara Mayer-Schulz
Diplomsozialarbeiterin am Sterntalerhof