Notwendige und obsolete Medikamente in der Behandlung terminal kranker Patienten
sagt Univ.-Prof. Dr. Herbert Watzke"Die Verabreichung von Opioiden am Lebensende wird immer wieder mit einer möglichen Verkürzung des Lebens in Zusammenhang gebracht. Fachgerecht angewendet tun sie das nicht."
Die Medikation terminal kranker Patient:innen ist in der Palliative Care besonders schwierig, da die orale Einnahme von Medikamenten für die Patient:innen schwierig und belastend ist und parenterale Applikationen häufig nicht verfügbar oder anwendbar und auch nicht weniger belastend sind. Es stellt sich somit häufig die Notwendigkeit zum Verzicht von Medikamenten ein. Damit eng verbunden ist die Frage nach dem Nutzen von Medikamenten, die wieder nur im Kontext des von Patient:in und Ärzt:in festgelegten Behandlungszieles beantwortet werden kann.
Terminal krank
Der Begriff „terminal krank“ ist in der Literatur sowohl von seiner zeitlichen Einschränkung her, als auch von Seiten des körperlichen Zustandes der Patient:innen nicht klar eingegrenzt. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich einerseits auf klinische Daten, die in der letzten Lebenswoche von Patient:innen erhoben wurden, einer Phase, die in diesem Kontext als „terminal“ bezeichnet wird. Andere Daten beziehen sich auf die letzten 3 Lebensmonate, eine Lebensphase von Palliativpatient:innen, die analog im nachstehenden Text als „präterminal“ bezeichnet wird.
Prinzipiell steht die Behandlung von tatsächlich existierenden Symptomen im Zentrum aller palliativmedizinischen Behandlungskonzepte. Allerdings bedeutet das nicht notwendigerweise einen völligen Verzicht auf alle präventiv wirksamen Medikamente und Maßnahmen. Dies geht schon aus der WHO-Definition von Palliative Care hervor, in der es heißt, dass die Betreuung von Palliativpatient:innen „through the prevention and relief of suffering“ erfolgen sollte, womit die Vorbeugung explizit angesprochen wird. Gerade alte Menschen haben ja eine Reihe von präventiv wirkenden Medikamenten, vor allem zur Vorbeugung kardiovaskulärer Erkrankungen (Abb.1).
Bei einigen von diesen, vor allem bei denjenigen, die, wie etwa Lipidsenker, eine mäßige und nur äußerst verzögerte Erhöhung des Risikos nach deren Absetzen hervorrufen, wird es nicht weiter schwierig sein, sie wegzulassen. Ähnlich verhält es sich mit oralen Antidiabetika. Hier spricht vor allem auch die Tatsache, dass es häufig auf dem Boden einer beginnenden Kachexie alleine schon zu einem Rückgang des Blutzuckers kommt und Langzeitschäden des Diabetes ohnehin nicht mehr erlebt werden, für ein relativ frühzeitiges Absetzen dieser Medikamente.
Andere Prophylaktika sind in ihrer diesbezüglichen Handhabung schwieriger (z.B. Antiarhytmika) und werden auch zum Teil sehr kontroversiell beurteilt, was vor allem auf die Vorbeugung arterieller und auch venöser thromboembolischer Erkrankungen zutrifft.
Hier wird zum Teil argumentiert, dass ein akuter Tod durch derartige Ereignisse (Schlaganfall, Pulmonalembolie) „humaner“ sei als ein z.B. langsames Sterben an einer malignen Erkrankung. Übersehen wird dabei allerdings, dass Schlaganfall und Pulmonalembolie bei nur einem Bruchteil der Betroffenen zu einem akuten tödlichen Ereignis führen. Bei der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Patient:innen hingegen resultieren sie in einer zusätzlichen, oft massiven Verschlechterung ihrer Symptome und damit in der Verschlechterung ihrer Lebensqualität. Gerade deren Verbesserung oder zumindest Aufrechterhaltung ist aber das Ziel der Palliativmedizin.
Thromboseprophylaxe
Studien zeigen außerdem, dass derartige Präventionsmaßnahmen von den Patient:innen gewünscht werden. So haben sich in einer Befragung zur Prophylaxe von venösen Thromboembolien über 90% der Patient:innen für deren Beibehaltung auch auf der Palliativstation ausgesprochen. Hauptargument der Patient:innen war dabei weniger die oben genannte Tatsache, dass viele dieser Ereignisse nicht zum plötzlichen Tod führen, sondern zu einer weiteren, nicht tödlichen Verschlechterung ihres Zustandes, sondern ein völlig anderes: diese Patient:innen, die alle wussten, dass sie in Kürze an ihrer Krebserkrankung versterben würden, wollten nicht noch durch eine zusätzlich auftretende Lebensgefahr psychisch und emotional belastet werden („Mir ist klar, dass ich bald an Krebs sterben werde; ich möchte mich in dieser Situation nicht auch noch zusätzlich um die Lungenembolie sorgen müssen“).
Parallel zu dieser Entwicklung nimmt auch die Anwendung einer Thromboseprophylaxe auf Palliativstationen zu: hatten in England im Jahr 2000 nur 25% aller stationären Palliativpatient:innen eine Prophylaxe, waren es 2005 schon 85 %. Zweifellos wird diese irgendwann in der terminalen oder auch präterminalen Phase eines Patienten abgesetzt. Wann dies erfolgt oder erfolgen sollte ist aber unbekannt.
Wir haben deshalb in einer Studie österreichische Expert:innen zu diesem Thema befragt. Dabei kamen nicht nur Palliativmediziner:innen, sondern auch Gerinnungsexpert:innen, internistische Intensivmediziner:innen und Onkolog:innen zu Wort. Befragt wurde an Hand eines Fallbeispiels eines Patienten mit weit fortgeschrittenem Bronchuskarzinom, der zum Zeitpunkt des Eintrittes an die Palliativstation (Karnovsky Index 40), im Rahmen einer Verschlechterung (KI 20) und sterbend (KI 10) dargestellt wurde. Zusätzlich wurde das Fallbeispiel weiter modifiziert, als jeweils eine Anamnese einer rezenten Pulmonalembolie, eines Vorhofflimmerns oder keine der beiden Erkrankungen Vorlag.
Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass die befragten Experten die Verabreichung einer Prophylaxe ausschließlich vom klinischen Zustand des Patienten abhängig machen würden. Beim sterbenden Patienten (KI 10) würde niemand eine Prophylaxe geben. Beim nicht sterbenden aber sehr schlechten Patienten (KI 20) würden 20% eine Prophylaxe durchführen, beim präterminalen Patienten mit einem KI von 40 würden dies 90% der Kollegen tun (Abb.2)
Die Tatsache, ob jeweils ein hohes oder ein niedriges Risiko für eine Embolie besteht, wurde nicht in die Überlegungen miteinbezogen. Dies zeigt, dass ein einfach zu erhebender Parameter (Karnovsky Index), der zudem nur schlecht mit der Lebenserwartung und somit mit dem Begriff „terminal“ korreliert, von den meisten Befragten als Entscheidungskriterium im Hinblick auf eine Thromboseprophylaxe verwendet wird.
Für andere prophylaktische Maßnahmen als die Thromboseprophylaxe fehlen derartige Untersuchungen.
Das vordringlichste Behandlungsziel in der präterminalen und terminalen Phase von Patienten ist die Kontrolle auftretender Symptome. Es ist deshalb unerlässlich, um die Art und die Häufigkeit der Beschwerden und den Zeitpunkt ihres Auftretens im Sterbeprozess zu wissen.
Beschwerden in der terminalen Phase
Die häufigsten in den letzten Lebenstagen auftretenden Symptome sind in Abb.3 zusammengefasst.
Dabei zeigt sich, dass manche abnehmen (Verwirrung), andere gleich bleiben (Übelkeit, Schmerzen), wieder andere aber zunehmen (Agitiertheit). Von der relativen Häufigkeit her dominieren respiratorische Probleme (Feuchte Rasselgeräusche, Dyspnoe), Schmerzen und Agitiertheit. Es sind dies somit die drei Kardinalsymptome des sterbenden Menschen. Ihre Behandlungsmöglichkeiten werden nachfolgend dargestellt.
Behandlung der Schmerzen in der terminalen Phase
Die Behandlung der Schmerzen in der terminalen Phase folgt den prinzipiellen Richtlinien der Schmerztherapie, wie sie im Stufenschema der WHO dargelegt sind. Dabei ist zu bemerken, dass die Intensität von Schmerzen in der letzten Lebenswoche bei einem Drittel der Patient:innen gleich bleibt, bei einem Drittel abnimmt und bei einem Drittel zunimmt.
Es sollten deshalb leicht steuerbare Anwendungsformen (s.c., wenn notwendig i.v.; orale Applikation ist zu bevorzugen, aber meist nicht mehr möglich) und möglichst keine Depotpräparate (wie etwa Schmerzpflaster) Verwendung finden.
Für Fieber und mäßige Schmerzen ist in aller Regel Paracetamol (z. B. Perfalgan®), bei entzündungsbedingten Schmerzen Diclofenac (z. B.:Voltaren®) ausreichend. Bei stärkeren Schmerzen sollte zusätzlich Metamizol (Novalgin®) gegeben werden.
Eine Erweiterung dieser Medikamente durch Opioide ist in der terminalen Phase selten notwendig, da bei 2/3 der Patient:innen die Schmerzen in der terminalen Phase gleich bleiben oder abnehmen. Bei a priori bestehender Opioidtherapie sollte diese bei Bedarf gesteigert werden. Dabei sollten orale retardierten Formen so lange wie möglich verwendet werden und bei Unfähigkeit, Tabletten zu Schlucken, auf i.v. oder s.c Dauerinfusion gewechselt werden. Wegen der in den letzten Lebenstagen häufig auftretenden Niereninsuffizienz kann es zu einer Akkumulation der Opioide kommen, die mit Ausnahme des Hydromorphons (Hydal®), vorwiegend renal eliminiert werden. Dadurch kann eine Dosisreduktion erforderlich werden. Im Einzelfall ist es aber erfahrungsgemäß meistens unmöglich zu differenzieren, ob eine in den letzten Lebenstagen auftretende cerebrale Funktionseinschränkung dem natürlichen Sterbeprozess zuzuschreiben ist oder möglicherweise durch Opioidwirkung mit verursacht ist.
Studien zeigen, dass Opioide bei Patient:innen, die bereits vor dem Sterbeprozess diese zur Behandlung von Schmerzen erhalten haben, den Sterbeprozess nicht beschleunigen, selbst dann nicht, wenn deren Dosis gesteigert wird. Für Patient:innen, die zum ersten Mal im Sterbeprozess Opioide erhalten, gibt es zu dieser Fragestellung allerdings keine Daten. Wie oben ausgeführt, ist das allerdings in der Regel nicht notwendig. Für die Behandlung von Zuständen der Agitiertheit und Unruhe, die die häufigsten Symptome in den letzten Lebenstagen sind (vide infra), sollten Opioide keinesfalls verwendet werden.
Behandlung der Dyspnoe in den letzten Lebenstagen
Auch die Dyspnoe ist ein häufiges und in der terminalen Phase häufig zunehmendes Symptom. Dabei muss differenziert werden zwischen dem Symptom der Dyspnoe, das eine subjektive, objektiv nicht messbare Feststellung des Patienten ist und den Atemgeräuschen (feuchte Rasselgeräusche) des bewusstseinsgetrübten Patienten, die bei fast allen Menschen mehr oder weniger kurz vor dem letzten Atemzug auftreten und deshalb auch als Todesrasseln bezeichnet werden. Während die Dyspnoe ein quälendes Symptom für alle Patient:innen darstellt und deshalb intensiv behandelt werden muss, wird das Lungenrasseln wahrscheinlich vom Sterbenden nicht mehr verspürt und bedarf deshalb keiner Behandlung. Es ist allerdings für die den Sterbenden begleitenden Angehörigen - und oft auch für das Pflegepersonal - über einen längeren Zeitraum hinweg schwer zu ertragen, weil es eine schwere Atemnot des Strebenden suggeriert.
Wichtigstes Medikament zur Behandlung der Dyspnoe (aber nicht des Todesrasselns) in der Terminalphase sind Opioide. Sie wirken direkt auf cerebrale Rezeptoren, die das Gefühl der Dyspnoe vermitteln. Zudem dürften sie auch pulmonale Rezeptoren günstig beeinflussen. Es konnte gezeigt werden, dass der die Dyspnoe lindernde Effekt lange vor einem atemdepressiven Effekt der Opioide auftritt. Überhaupt verhindert jegliche Dyspnoe das Auftreten einer relevanten Atemdepression. Der lindernde Effekt von Opioiden auf die Dyspnoe tritt deutlich früher auf als ein CO2 Anstieg, der Ausdruck einer Atemdepression wäre.
Abgesehen von Opioiden gibt es keine nachgewiesenen positiven Effekte anderer Medikamente auf die Dyspnoe. Nicht-steroidale Antirheumatika können allerdings pleurale, atemabhängige Schmerzen lindern und dadurch die Atmung erleichtern. Inhalation von Sauerstoff führt bei Patienten, die nicht hypoxisch sind, zu keiner Verbesserung des Sauerstoffpartialdruckes im Blut. Allerdings führt diese Inhalation über einen reinen Plazeboeffekt zu einer signifikanten subjektiven Verbesserung der Dyspnoe. Sie sollte deshalb dort, wo sie leicht verfügbar ist (wie z. B. in Krankenhäusern) angeboten (aber nicht verordnet!!) werden. Beim Auftreten von unangenehmen Nebenwirkungen (z. B.: Mundaustrocknung) sollte der Stellenwert der Inhalation reevaluiert werden.
Das Lungenrasseln ist auf eine bronchiale Hypersekretion und möglicherweise auch auf ein Versagen des Schluckreflexes mit Speichelaspiration zurückzuführen. Es kann mit Scopolaminen (z. B.: Robinul®) etwas gebessert werden. Das Absaugen, das oft reflexartig von den Betreuenden gemacht oder verlangt wird, ist obsolet: es führt zu keiner anhaltenden Verbesserung der Situation und ist für die/den Patient:in sehr belastend.
Agitiertheit und Unruhe
Etwa die Hälfte aller terminalen Patient:innen ist unruhig bis heftig agitiert. Es ist in dieser Phase oft schwierig zu entscheiden, ob die Unruhe Ausdruck etwa von Schmerzen ist oder eine primäre cerebrale Dysfunktion darstellt. Ist eine Schmerzursache unwahrscheinlich - etwa weil die/der Patient:in auch in den Tagen davor nicht über Schmerzen geklagt hat oder kein ersichtlicher Grund für Schmerzen vorliegt – sollten zur Behandlung der Agitiertheit Sedativa (z. B. Midazolam (Dormicum®)) verwendet werden. Sie können intravenös gut dosiert werden, sind gut verträglich und auf Grund ihrer relativ kurzen Halbwertszeit gut steuerbar. Opioide sollten in dieser Situation nicht verwendet werden: ihr sedierender Effekt ist eigentlich eine Nebenwirkung und erfordert, um ihn therapeutisch nutzen zu können, erfahrungsgemäß hohe Opioiddosen und eine rasche Anflutung bzw. Dosissteigerung. Dies kann bei opioid-naiven Patient:innen, die nicht durch Schmerz oder Dyspnoe agitiert sind, zu erheblicher Atemdepression führen.
Thromboseprophylaxe in der terminalen und präterminalen Phase
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