Morphin tötet die Schmerzen, aber nicht die Patienten

Vor einigen Tagen erregte ein Ereignis aus dem Jahr 2014, das sich in einem Salzburger Krankenhaus zugetragen hat, mediale Aufmerksamkeit: Einem Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin wurde zuerst nach §80 (fahrlässige Tötung), dann nach §75 StGB (Mord) geklagt.

Bei einer betagten Bewohnerin eines Pflegeheims, die an einer unheilbaren Erkrankung gelitten hatte, wurde nach einem Kollaps eine Herzkreislaufwiederbelebung durchgeführt und sie wurde an die Intensivstation eines Salzburger Krankenhauses gebracht. Dort hat der Kollege – bei bestehender Aussichtslosigkeit der intensivmedizinischen Maßnahmen völlig im Konsens mit dem medizinischen Fachstandard die intensivmedizinischen Maßnahmen beendet und eine angemessene Schmerztherapie und Symptomkontrolle durchgeführt.

Der Leichnam wurde gerichtsmedizinisch obduziert, es wurden hohe Blut- und Gewebsspiegel von Opioiden gefunden (die Patientin stand auch unter einer Dauertherapie mit einem transdermalen Opioid). Aus diesem Befund schloss der Rechtsmediziner in irriger Weise, dass der Tod durch Opioide hervorgerufen worden ist. Die Folge waren sehr fragwürdige juristische Entscheidungen, die letztlich zur Klage nach §75 StGB geführt haben.

In beispiellos solidarischer Weise haben mehrere Fachgesellschaften Österreichs (ÖGARI, OPG, ÖGERN, FASIM, ÖGAIN) auf diese Umstände sofort reagiert: dem Kollegen wurden die besten Fachgutachter angeboten und der bestmögliche juristische Beistand, Presseaussendungen an die Austrian Press Agency (APA) erfolgten durch die OPG (zur Presseaussendung), ÖGARI und ÖGERN. Der Kollege steht auch in direktem persönlichen Kontakt mit dem führenden und maßgeblichen Fachpersonal.

Wir sind fassungslos, dass nun die Ausbildungsstandards im Sinne bestmöglicher patientenorientierter Entscheidungen und adäquater Symptomenkontrolle am Lebensende zur medialen Diskussion stehen und sich ein verantwortungsvoll handelnder Arzt juristisch bedroht sehen muss. Die medial geführte Debatte darf nicht geeignet sein, eine einzige palliativ denkende und handelnde Person dazu zu veranlassen, aus persönlicher Angst auf die dem Fachstandard entsprechenden Maßnahmen der Schmerz- und Symptomkontrolle zu verzichten! Eine für nachstehend urteilende nachvollziehbare, klare und transparente Dokumentation der Gründe für Entscheidungen am Lebensende ist jedoch unsererseits unbedingt empfohlen.

Wie der Präsident der Europäischen Schmerzunion (EFIC), Univ. Prof. DDr. Hans-Georg Kress und der Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG), OA Dr. Wolfgang Jaksch in einem direkten und anlassbezogenen Mail bestätigen, bestehen keinerlei Zusammenhänge zwischen toxikologisch messbaren Opioidspiegeln und der klinischen Wirkung von Opioiden. Rückschlüsse auf die klinische Wirkung oder gar tödliche Wirksamkeit können durch Blutspiegelbestimmungen keinesfalls gezogen werden!

Wir ersuchen Sie weiterhin, die von unheilbaren Erkrankungen betroffenen Menschen im Sinne der gelernten Fachstandards zu behandeln und dürfen unsere Unterstützung im Falle von ungerechtfertigten Vorwürfen zusichern.

Dr. Harald Retschitzegger, MSc
Präsident der OPG

Univ.Prof. Dr. Herbert Watzke
Professur für Palliativmedizin
Medizinische Universität Wien

Dr. Dietmar Weixler, MSc (palliative care)
Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin
Vorsitzender der AG Ethik der OPG