Nachlese 1. Interdisziplinärer Fachtag Palliative Care vom 25.10.2013

Der Prozess des Sterbens ist ein Teil des menschlichen Lebens und der menschlichen Gemeinschaft. Die modernen Gesellschaftsformen haben es allerdings mit sich gebracht, dass Sterben nicht mehr im Kontext der natürlichen Lebensumgebung stattfindet, sondern zunehmend in Krankenhäuser und Pflegeheime „ausgelagert“ wird. Durch die dort vorhandenen Rahmenbedingungen ist dieser institutionalisierte Sterbeprozess zwangsläufig auch medizinisch geprägt. Früher haben Angehörige den Sterbeprozess begleitet, nun übernehmen ExpertInnen in Pflege und Medizin diese Aufgabe.

 

Die Medizin kann allerdings diesen Prozess nicht nur begleiten, sondern ihn im Sinne einer optimalen „Umsorgung“ der PatientInnen auch grundlegend verändern, was situationsabhängig und indikationsbezogen auch erwartet wird. Dies zeigt sich daran, dass heute bereits bei mehr als zwei Drittel aller sterbenden Menschen Entscheidungen hinsichtlich einer Therapiebegrenzung getroffen werden müssen.

 

Die Österreichische Palliativgesellschaft hat deshalb mit ihrem 1. Interdisziplinären Fachtag Palliative Care einen Anstoß zu einem Diskurs über das medizinisch begleitete Sterben in unserer Gesellschaft gegeben. Thematisiert wurden dabei die für Österreich gültigen rechtlichen Rahmenbedingungen der „Umsorgung“ von PatientInnen sowie die ethischen Aspekte der in einigen anderen Ländern erlaubten „Entsorgung“ von PatientInnen durch Tötung auf Verlangen und assistiertem Suizid.

 

Die Veranstaltung hat großes Interesse hervorgerufen und war mit ihren ca. 200 TeilnehmerInnen auch ausverkauft.

 

Im Eingangsvortrag erläuterte Univ.Prof.Dr.Dr.hc. Ulrich Körtner, Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin an der Universität Wien, die ethischen Aspekte des Themas. Er stellte dabei fest, dass das Recht auf Leben ein unveräußerliches Menschenrecht ist. Weil der Tod zum Leben gehört, impliziert das Recht auf Leben auch das Recht auf Sterben. Strittig ist allerdings, ob dieses das Recht auf Selbsttötung, Suizidbeihilfe und Euthanasie einschließt. Er betonte weiters, dass Menschenwürde und Autonomie Schlüsselbegriffe in der Diskussion um die Grenzen der Selbstbestimmung am Lebensende sind. Diese stehen in engem Zusammenhang mit den immer wieder diskutierten Formen von Sterbehilfe, bei denen nicht allein die Terminologie, mit der verschiedene Arten des Tuns, des Lassens und Unterlassens am Lebensende bezeichnet werden, sondern auch der Sinn und die Bedeutung von Autonomie und Menschenwürde sowie das Begründungsverhältnis von Menschenwürde und Menschenrechten. So kann das Prinzip der Autonomie nicht die alleinige ethische Grundlage der Behandlung am Lebensende sein. Es ist vielmehr auch dem Prinzip der Fürsorglichkeit Rechnung zu tragen. Fürsorglichkeit und Autonomie können allerdings im Einzelfall zueinander in Spannung treten. Nicht wenige medizinethische Konflikte am Lebensende rühren von diesem Spannungsverhältnis her. „Autonomie bis zuletzt“ ist nicht selten eine Fiktion.

 

In ihrem Vortrag zur den „Pflegerischen Aspekten der Behandlung am Lebensende“ stellte Frau Angelika Feichtner, MSc. die Position der Pflege in der Umsorgung sterbender Menschen dar. Sie betonte dabei, dass gerade die Pflegenden am unmittelbarsten und auch am häufigsten von allen Berufsgruppen mit Sterbewünschen von Palliativpatienten konfrontiert werden. Dies sei einerseits ein großer Beweis des Vertrauens der Patienten in die Menschlichkeit und Professionalität der Pflegenden, andererseits stellen sie aber auch eine große emotionale Belastung der Pflegenden dar. Pflegende haben damit als Adressaten eines derartigen Wunsches eine besondere Verantwortung, denn es ist entscheidend, wie sie diesen Signalen größter Not begegnen. Es sind dies Situationen, die absolute Priorität, Aufmerksamkeit und höchste professionelle und kommunikative Kompetenz erfordern. Frau Feichtner betont dabei auch, dass bei derartigen Wünschen auch das pflegerische Selbstverständnis grundsätzlich in Frage gestellt wird und es daher wesentlich sei, dass die Pflege in der Diskussion um die ethischen Fragen am Lebensende und damit auch in der Problematik um assistierten Suizid und Euthanasie Stellung bezieht.

 

Das Thema der Tagung wurde aus ärztlicher Sicht von Univ.Prof. Dr. H. Christof Müller-Busch und Dr. Dietmar Weixler beleuchtet. Dr. Weixler berichtete aus seiner großen Erfahrung im Umgang mit Sterbenden, die er in jahrelanger Tätigkeit im Mobilen Palliativteam Horn gesammelt hat. Von den mehr als 900 Menschen, die er dabei begleitete, äußerten etwas 10% der PatientInnen einen Sterbewunsch. Insgesamt wurde in diesem Zeitraum ein Selbstmord von 2 Patienten berichtet. Bei seiner Nachfrage bei den beiden Organisationen in der Schweiz, die ärztlich assistierten Suizid anbieten, ergab sich, dass jährlich 3-5 Menschen aus Österreich deren Angebot wahrnehmen. Er stellte weiters fest, dass auch die Palliativeinrichtungen, gleich wie alle anderen Gesundheitseinrichtungen, zunehmend im Sinn von Wirtschaftsunternehmen geführt und zum Teil auch von Wirtschaftsfachleuten gesteuert werden.  Er verdeutlichte dieses am Beispiel der Finanzierung von Palliativstationen, bei denen die volle Kostendeckung nur für ca. 3 Wochen gegeben ist, was einen finanziellen Druck auf eine vorzeitige Entlassung von Palliativpatienten erzeugt. Eine Änderung dieses Systems wäre dringend notwendig, da einige wenige Patienten wesentlich längere Liegedauer in Palliativeinrichtungen benötigten. Desgleichen würden die extramuralen und intramuralen Palliativdienste nur mit minimalen Ressourcen ausgestattet, weil sie keine Wertschöpfung für Spitalserhalter bringen.

 

Prof. Müller-Busch stellte in seinem Referat die praktischen Konsequenzen ethischer Überlegungen in der medizinischen Betreuung am Lebensende dar. Zu den Kernelementen der Palliativmedizin zählen für ihn neben optimaler Symptomenkontrolle in der Endphase des Lebens vor allem effektive Kommunikation und reflektiertes Entscheiden. Dazu gehört auch der Umgang mit Suizidwünschen, mit denen wir uns auch in der Palliativsituation konfrontiert sehen. Aus palliativmedizinischer, aber auch aus allgemeinmedizinischer Sicht stellt die Bereitstellung und Gabe von tödlich wirkenden Medikamenten keine medizinische Therapieoption dar. Therapie und ganz besonders auch leidenslindernde Behandlung kann sich erkenntnismäßig immer nur an einem Ziel orientieren, das die Qualität, den Sinn und den Wert des einigermaßen bestimmbaren Lebens im Auge hat und nicht die Qualität, den Sinn und den Wert des unbestimmbaren Todes. Die Intention des Todes als Ziel kann keine ärztliche Aufgabe sein. Nicht die Abschaffung des Leidens, sondern die Linderung des Leides ist die Aufgabe des Arztes.

 

In weiteren Vorträgen stellte Univ.Prof. Dr. Andreas Valentin, MBA die Problematik im Bereich der Intensivmedizin dar und stellte dabei fest, dass die ethischen und rechtlichen Grundlagen hier naturgemäß völlig ident zu denen in der Palliative Care sind, dass sich aber bei der praktischen Durchuntersuchung andere Aspekte ergeben. Er betonte weiters, dass gemeinsame Fallbesprechungen von Palliativmedizinern mit Intensivmedizinern wünschenswert, sinnvoll und für beide Seiten fruchtbringend seien.  

 

Dr. Thomas Frühwald beleuchtete die diesbezüglichen Aspekte geriatrischer Patienten. In seiner abschließenden Fallpräsentation wurden anhand eines durchaus alltäglichen, aber dennoch immens komplexen Falles die Schwierigkeiten bei der Indikationsstellung zur künstlichen Ernährung behandelt. Schließlich beleuchtete Frau Dr. Maria Kletecka-Pulker die rechtlichen Rahmenbedingungen der Erhaltung der Autonomie am Lebensende mit Hilfe von Instrumenten wie Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht und erläuterte an vielen praktischen Beispielen die Brauchbarkeit dieser rechtlichen Möglichkeiten.

 

Insgesamt zeigt das große Interesse an der Veranstaltung, dass in Bezug auf das gestellte Thema ein großer Fortbildungs- und Diskussionsbedarf besteht.